Wenn Zunge und Lippen fesseln – Die Bedeutung von verkürzten Zungen- und Lippenbändchen

 

Ein kleines Band unter der Zunge oder den Lippen kann erstaunlich weitreichende Folgen haben – von Problemen beim Stillen und Füttern bis hin zur Sprachentwicklung. Verkürzte Zungen- und Lippenbändchen sind ein Thema, das in den letzten Jahren immer mehr Aufmerksamkeit erhalten hat, und das zu Recht. Doch was genau steckt dahinter, und warum ist die frühzeitige Erkennung so wichtig?

 

Eine Geschichte des Vergessens und Wiederentdeckens

 

Die Problematik verkürzter Zungenbändchen (Ankyloglossie) ist keineswegs neu. Schon im Mittelalter und in früheren Jahrhunderten wurde das Phänomen beschrieben und teils sogar von Hebammen mit einem Fingernagel oder einer scharfen Klinge gelöst. Es gab Zeiten, in denen es eine routinemäßige Prozedur war, und dann wieder Phasen, in denen es fast in Vergessenheit geriet oder als unbedeutend abgetan wurde.

Erst in den letzten zwei Jahrzehnten, angetrieben durch eine verstärkte Forschung im Bereich Stillen und orale Entwicklung, hat das Bewusstsein für die Auswirkungen von verkürzten Zungen- und Lippenbändchen wieder stark zugenommen. Heute wissen wir, dass diese kleinen Gewebestrukturen eine entscheidende Rolle für die gesamte orale Funktion spielen können.

 

Was sind Zungen- und Lippenbändchen?

 

Zungen- und Lippenbändchen (medizinisch: Frenula) sind kleine Schleimhautfalten, die die Beweglichkeit von Zunge und Lippen im Mund begrenzen.

  • Zungenbändchen (Linguales Frenulum): Das Band unter der Zunge, das die Zunge mit dem Mundboden verbindet. Ist es zu kurz oder zu straff, kann die Zunge ihre volle Bewegungsfreiheit nicht entfalten.
  • Lippenbändchen (Labiales Frenulum): Das Band, das die Oberlippe mit dem oberen Zahnfleisch oder die Unterlippe mit dem unteren Zahnfleisch verbindet. Ein zu kurzes oder straffes Lippenbändchen kann die Beweglichkeit der Lippe einschränken.

 

Die Probleme auf einen Blick

 

Die Auswirkungen können vielfältig sein und sich in verschiedenen Lebensbereichen zeigen:

  • Stillprobleme: Babys können Schwierigkeiten haben, einen tiefen und effektiven Saugschluss zu erzielen, was zu Schmerzen bei der Mutter, ineffektivem Milchtransfer und geringer Gewichtszunahme beim Baby führen kann.
  • Fütterprobleme: Auch bei der Flaschenfütterung können Saugprobleme auftreten. Später bei der Beikosteinführung können Schwierigkeiten beim Kauen und Schlucken fester Nahrung entstehen.
  • Sprachentwicklung: Eine eingeschränkte Zungenbeweglichkeit kann die korrekte Aussprache bestimmter Laute (z.B. ‚l‘, ’s‘, ‚t‘, ‚r‘) behindern und zu Sprechstörungen führen.
  • Zahngesundheit & Kieferentwicklung: Ein straffes Lippenbändchen kann eine Lücke zwischen den oberen Schneidezähnen verursachen. Eine eingeschränkte Zungenruhelage kann die Kieferentwicklung und Zahnstellung negativ beeinflussen.

 

Wissenschaftliche Erkenntnisse und Lösungsansätze

 

Die Forschung hat in den letzten Jahren immer deutlicher gezeigt, wie signifikant die Auswirkungen von verkürzten Zungen- und Lippenbändchen sein können.

 

Stillprobleme im Fokus

 

Studien belegen, dass eine Frenotomie (die Durchtrennung des Zungenbändchens) bei Säuglingen mit Stillproblemen die Stillfrequenz, die Schmerzen der Mutter und die Effektivität des Milchtransfers verbessern kann. Eine systematische Übersichtsarbeit und Metaanalyse von O’Shea et al. (2017) im Journal of Pediatrics zeigte, dass die Frenotomie mit einer signifikanten Verbesserung der Stillprobleme assoziiert ist.

Quelle: O’Shea, J. E., et al. (2017). Frenotomy for tongue-tie in newborn infants. Cochrane Database of Systematic Reviews, (3). https://doi.org/10.1002/14651858.CD011065.pub2

 

Auswirkungen auf die orale Entwicklung

 

Nicht nur das Stillen, sondern auch die gesamte orale Motorik und die Entwicklung der Gesichts- und Kiefermuskulatur können betroffen sein. Eine freie Zungenbeweglichkeit ist essenziell für die korrekte Ruhelage der Zunge am Gaumen, welche wiederum die Entwicklung eines breiten Gaumens und einer guten Zahnstellung fördert. Forschungen von Ghaheri et al. (2017) im International Journal of Pediatric Otorhinolaryngology beleuchten die anatomischen und funktionellen Aspekte von posteriorer Ankyloglossie und deren Auswirkungen.

Quelle: Ghaheri, B. A., Cole, M., Fausel, S. C., Chuop, M., & Mace, J. C. (2017). Ankyloglossia, better known as tongue-tie: An updated literature review. International Journal of Pediatric Otorhinolaryngology, 100, 201-205

 

Lösungsansätze

 

Die häufigste und effektivste Behandlung ist die Frenotomie, ein kurzer Eingriff, bei dem das zu straffe Band durchtrennt wird. Dies kann mittels Schere oder Laser erfolgen und wird oft schon im Säuglingsalter durchgeführt. Begleitend ist oft eine orale Physiotherapie oder Craniosacrale Therapie sinnvoll, um die neu gewonnene Bewegungsfreiheit optimal zu nutzen und Verspannungen zu lösen.

 

Fazit

 

Verkürzte Zungen- und Lippenbändchen sind ein komplexes Thema, das weitreichende Auswirkungen auf die Entwicklung eines Kindes haben kann. Eine frühzeitige Diagnose und eine angemessene Behandlung sind entscheidend, um Still-, Fütter-, Sprach- und sogar zahnmedizinischen Problemen vorzubeugen oder diese zu beheben. Wenn Sie den Verdacht haben, dass Ihr Kind betroffen sein könnte, suchen Sie unbedingt professionelle Hilfe. Als Still- und Fütterberaterin stehe ich Ihnen gerne zur Seite, um eine erste Einschätzung vorzunehmen und Sie an spezialisierte Ärzte oder Therapeuten weiterzuleiten.